Die Rückkehr des Pre Bell Man – Nam June Paik und zeitgenössische Kunst aus der Sammlung von Kelterborn

Ausstellung vom 6. Juni 2019 bis 19. Januar 2020 im Museum für Kommunikation Frankfurt

Die begleitende Ausstellung zur Rückkehr des Pre Bell Man von Nam June Paik zeigt die Besonderheiten von Medienkunst und veranschaulicht die Aktualität des Kunstwerks vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Künstler*innen aus der Sammlung von Kelterborn wie Gary Hill, Marcel Odenbach, Mariana Vassileva und Nezaket Ekici nutzen Film, Video und am Computer erzeugte und bearbeitete Bilder um künstlerische Positionen zu formulieren. Der Umgang mit der Technik ist dabei oft ungewöhnlich, Sehgewohnheiten werden durchbrochen und Irritationen einkalkuliert. Die Medienkünstler*innen der Ausstellung schaffen und erforschen in gleichem Maße neue Präsentationsformen und Räume. Die Ausstellung gibt einen Überblick von den 60er Jahren bis zur Gegenwart.

Ismaël Joffroy Chandoutis – Natalie Djurberg – Die Tödliche Doris – Teboho Edkins – Nezaket Ekici – Murray Gaylard – Gary Hill – Friedrich Kunath – Bjørn Melhus – Nam June Paik – Laurina Paperina – Anke Röhrscheid – Mariana Vassileva – Hu Weiyi – Tobias Zielony

RAUM 1: VIDEO LOUNGE

In der Video-Lounge der Ausstellung sind künstlerische Positionen versammelt, in deren Werken der Raum eine bedeutende Rolle spielt. Die Besucher*innen und Besucher des Museums für Kommunikation Frankfurt können es sich auf der Sitzinsel bequem machen: von dort aus lassen sich die Werke von Anfang bis Ende anschauen. Sie machen den Zuschauerinnen und Zuschauern die bedeutungsvolle Verbindung zwischen Medium und Zeit bewusst.

Swatted, Ismaël Joffroy Chandoutis

Single Channel Video, Farbe, Ton, 21:14 Min, 2018

Swatted (Teaser), Ismaël Joffroy Chandoutis, 2018

Bei Swatted wird der real mögliche Fall nachvollziehbar, bei dem der Teilnehmende eines Onlinespiels einem anderen Gamer durch einen vorgetäuschten Notruf ein schwerbewaffnetes Sonderkommando der US-Polizei - ein SWAT-Team - nach Hause schickt. Bei diesen Anrufen werden Selbstmorddrohungen, Geiselnahmen und andere lebensbedrohliche Szenarien beschrieben, die den Einsatz in der analogen Welt auslösen. Die Motive dafür sind Rache und Hass in Folge von Begegnungen im Internet. Häufig sind Spielschulden in geringer Höhe der Auslöser für die heftige Aktion.

In Joffroy Chandoutis Werk wird der Zuschauer Zeuge eines solchen Anrufs und verfolgt den realen SWAT-Einsatz über die Kamera des Gamers mit. Die Polizei führt einen Swat-Einsatz durch, weil der Anrufer eine Notsituation vorgibt. Für den überraschten Empfänger des SWAT-Kommandos entsteht eine extreme Situation, die von der Gewaltbereitschaft der Polizei gekennzeichnet ist und in den letzten Monaten in den USA schon zu Erschießungen geführt hat. Der Swat-Einsatz wird durch die virtuelle Welt des Online-Spiels ausgelöst und hat schwere Folgen in der Realität.

Für Swatted hat Joffroy Cahdoutis mit Spiele-Entwicklern zusammengearbeitet und die imaginäre Landschaft eines Onlinespiels nach seinen Vorgaben programmieren lassen. Die Tonspur mit dem Telefonanruf läuft parallel zu den Bildwelten. Durch die Webcam sehen die Betrachter, wie die Polizei mit dem Großeinsatzteam bei dem Mitspieler anrückt. Die Grenze zwischen virtueller und realer Welt sind aufgehoben.

Ismaël Joffroy Chandoutis (*1988) studierte an der INSAS (Belgien) Schnitttechnik, an der Sint-Lukas Art School (Belgien) und am Studio National des Arts Contemporains in Le Fresnoy (Frankreich) Film. Für „Swatted“ hat Ismaël Joffroy Chandoutis 2018 den Prix Émergences erhalten.

Initiation, Teboho Edkins

HD Video, Farbe, Ton, 10:31 Min, 2016

Initiation thematisiert die Einführung eines lesothischen Jugendlichen in den Kreis der Erwachsenen. Mosaku erzählt, dass er auf seinen älteren Bruder wartet, der nach fünf Monaten von der Initiation zurückkehrt. Dieser hat an einem Ritual teilgenommen, in dem junge Männer ihre Reife beweisen. Wir erfahren nicht, was die Initiation beinhaltet hat, sondern sehen lediglich, wie die Männer mit tiefen Stimmen singend zurückkehren und sich in ihren neu gewonnenen Identitäten präsentieren.

Alles trägt sich im Freien zu, die farbintensive Landschaft ist der Ort für die Momentaufnahme eines bedeutenden Rituals, über das der Betrachter wenig und zugleich viel erfährt. Die Stimmung wechselt in dem Video – von Zugehörigkeit und Distanz, von Unbekanntheit und Aneignung. Indem ihm ein Foto des Künstlers als kleiner Junge in lesothischer Verkleidung vorangestellt wird, trägt es autobiografische Züge.

Teboho Edkins (*1980) ist in den USA geboren und wuchs in Lesotho auf. Er lebt und arbeitet in Berlin und Cape Town. Mit seiner dokumentarischen, einfühlsamen Filmsprache deckt Edkins soziale Missstände auf. Viele seiner Filme erhielten Auszeichnungen.

Apperception, Anke Röhrscheid

3D-Animation, Farbe, Ton, 03:50 Min, 2013

Aus dem tiefen Schwarz eines undefinierten Raums lösen sich Formen, Licht scheint auf, Strukturen sind wahrnehmbar. Sie nehmen den Raum ein und verschwinden wieder. In der undefinierbaren Dunkelheit entwickeln und verändern sich Erscheinungen, wir können sie nicht verorten. Sind es winzige Organismen in einem Mikrokosmos? Handelt es sich um Flugobjekte im All? Der Raum, aufgeladen durch Klänge, könnte hier auch die Sichtbarmachung eines Blicks nach Innen sein. Während wir schauen, verändert sich etwas in uns.

Anke Röhrscheid (*1965) hat an der Städel-Schule bei Hermann Nitsch als Meisterschülerin graduiert. Sie hat mit Aquarellfarbe eine unverwechselbare Technik entwickelt. Die 3D-Animation ist eine Übertragung ihrer Bildwelten in bewegte Bilder.

Im Schiffbruch nicht schwimmen können, Marcel Odenbach

HD Video, Farbe, Ton, 08:15 Min, 2011

 

Im Schiffbruch nicht schwimmen können, Marcel Odenbach, 2011

In den leeren Gemäldesaal im Louvre treten drei dunkelhäutige Männer und setzen sich auf eine Bank vor ein Bild. Die Kamera wechselt zwischen ihren Rückenansichten und ihren abtastenden Blicken. Noch wissen wir nicht, was sie dort sehen, zwei von ihnen erheben sich und gehen weiter.

Mit Anschnitten und langen Aufnahmezeiten, unterlegt von afrikanischer Musik, erzeugt Odenbach Spannung. Er lässt uns das Gemälde Detail für Detail mit den Augen eines Besuchers sehen, von dem wir ahnen, dass ihm der Inhalt nah geht.

Der Besucher betrachtet „Das Floß der Medusa“ von 1819, ein 491 x 716 cm großes Bild, das Théodore Géricault nach einem Schiffbruch zwei Jahre zuvor gemalt hat. Die Medusa lief auf dem Weg in den Senegal auf Grund. Der Kapitän überließ 147 Menschen auf einem Floß dem Meer und brachte sich und die adeligen Passagiere mit einem Rettungsboot in Sicherheit. Nach einer qualvollen Fahrt gelangten 15 Überlebende zurück nach Frankreich und enttarnten die Unfähigkeit der Restaurationsregierung.

Marcel Odenbach (*1953) lebt und arbeitet in Köln. Seit 2010 lehrt er Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf, nachdem er bereits Professuren an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und der Kunsthochschule für Medien Köln innehatte. Er gilt als einer der Pioniere der Videokunst.

RAUM 2: 7 KÜNSTLER - 7 POSITIONEN

Im zentralen Raum sind sieben Positionen für die Verwendung des Mediums versammelt. Künstler wie Nam June Paik und Gary Hill, die Video- und Filmkameras zeitgleich mit der Verbreitung des Fernsehens als Massenmedium Ende der 1960er Jahre nutzten, sind neben solchen zu sehen, die spätere technische Errungenschaften für die Entwicklung einer persönlichen künstlerischen Handschrift einsetzen. Die Arbeiten geben Einblick in die Vielseitigkeit und die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums und seine digitale Nutzung.

1. Nam June Paik und Jud Yalkut

Video Film Concert

Video, 1966-1972

Die mit Jud Yalkut herausgegebenen Videos aus der Zeit von 1966 bis 1972 veranschaulichen Nam June Paiks Arbeitsweise mit Video, bei Performances und für seine Skulpturen. 

Spielerisch experimentiert er mit dem Medium. Es entstehen kluge Statements und Kommentare, die oft ironisch einen spontanen Effekt erzielen und bei längerer Auseinandersetzung reich an Inhalt sind.

Video Tape Study No. 3, 1967-69/1992

Beatles Electroniques, 1966-72/1992

Electronic Moon No. 2, 1966-72/1992

Waiting for Commercials, 1966-72/1992

Electronic Yoga, 1966-72/1992

2. Gary Hill

Mouthpiece

Video, Farbe, Ton, Analogvideo, 01:13 Min, 1978

Bei Mouthpiece – wörtlich übersetzt Mundstück – legt Hill zwei Aufnahmen übereinander: die Nahaufnahme eines Gesichtes zeigt den Mund eines Mannes, der abwechselnd mit schmatzenden Geräuschen küsst, die Lippen bläst und die Zunge herausstreckt. Darüber läuft die grafische Gestaltung eines roten Mundes auf lila Grund. Sie verändert sich entsprechend der jeweiligen Mundbewegungen.

Mouthpiece, Gary Hill, 1978

Why Do Get Things In A Muddle? (Come On Petunia)

Single Channel Video, Farbe, Ton, 32:00 Min, 1984

Für "Why do get things in a muddle" schrieb Gary Hill ein Drehbuch. Er kehrt den Ablauf der Handlung um, indem er das Video rückwärts abspielte und steigerte die Wirkung noch, indem er auch die Sprache rückwärts sprechen lässt. Dazu schrieb er die Texte mit umgekehrter Buchstabenfolge und lässt sie von den Darstellern rückwärts sprechen. Sprachaufnahme und bewegtes Bild kombiniert er erst später.

Es entsteht ein künstlerischer Effekt, die die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich zieht. Die Sprache ist teilweise unverständlich und seltsam verwischt, auch die Körperbewegungen der Darsteller wirken merkwürdig und mechanisch.

Why Do Get Things In A Muddle? (Come On Petunia), Gary Hill, 1984

Mediations

Video, Farbe, Ton, 04:34 Min, 1986

Zu der Nahaufnahme eines Lautsprechers hören wir einfache Sätze mit Aussagen zur Bedeutung der Stimme. In einem besonderen Rhythmus langsam gesprochen sind die Worte zunächst klar und deutlich. Nach und nach lässt eine Hand immer mehr Sand auf die Membran des Lautsprechers rieseln. Zunächst tanzen die Sandkörner, dann beeinträchtigen sie die Stimme immer mehr bis sie erstickt.

Mediations, Gary Hill, 1986

Gary Hill (*1951 in Südkalifornien) arbeitet seit 1973 als Videokünstler und entwickelt die Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums immer noch fort. Die Auseinandersetzung mit Sprache und ihrer Beziehung zu Bild, Klang und Schrift stehen häufig im Mittelpunkt seines Interesses. Hill lenkt den Blick der Kamera und den Blick des Betrachters zwischen einer distanzlosen, tastenden Erforschung der Oberfläche und einer monumentalen Überhöhung hin und her.

3. Natalie Djurberg

Alles ist gut

Stop-Motion-Video, Farbe, Ton, 04:42 Min, 2008

Menschen stehen auf einem Berg und werfen wieder und wieder Steine hinunter. Ein Holzfäller wird unter Felsbrocken begraben. Die Szene trägt absurde Züge. Die Fortsetzung der Beschäftigung trotz wiederkehrender Unfälle, kann auf die Widerstandsfähigkeit des Menschen hinweisen, oder auch auf den rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Benötigen wir das Mantra „Alles ist gut“, um mit der heutigen Gesellschaft zurechtzukommen? Trösten wir uns damit über die Sinnlosigkeit unseres Handelns hinweg?

Natalie Djurberg (*1978) haben Stop-Motion-Videos – eine langsame, sehr aufwändige Animationstechnik, bei der mit einer Serie von Standbildern die Illusion einer Bewegung entsteht – bekannt gemacht. Mit Puppen aus Plastilin, Ton, Textil und Kunsthaar gestaltet die Künstlerin filmische Erzählungen.

4. Hu Weiyi

Keep Crawling

Video, Farbe, Ton, 03:22 Min, 2012

Keep Crawling, Hu Weiyi, 2012

Bei Keep Crawling robben 40 batteriegetriebene Spielzeugsoldaten über eine befahrene Kreuzung. Nur wenige Fahrzeuge drosseln ihr Tempo oder weichen den Figuren aus, die meisten Soldaten werden nach und nach überfahren. Steht das Kriegsspiel metaphorisch für eine Gesellschaft, in der sich nur behaupten kann, wer sich geschickt genug durchschlängeln kann und den sozialen Normen entspricht? Die pinkfarbenen Tangas, die die Soldaten tragen, könnten auf den schwierigen Umgang Chinas mit Homosexualität hinweisen.

Das Video entstand als Beitrag zu einem Projekt, bei dem 24 Künstler aus Shanghai, Hangzhou und Frankreich zu Interventionen an einer Kreuzung in Shanghai eingeladen waren. Zwei Tage lang war die Kreuzung Austragungsort für Multimedia-Performances.

Hu Weiyi (*1990) lebt und arbeitet in Shanghai. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet und gefördert.

5. Bjørn Melhus

Weit weit weg/Far Far Away

16mm-Film digitalisiert, 0:35 Min, 1995

In Anlehnung am die Geschichte der jugendlichen Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“ in dem 1900 erschienen Kinderbuch des US-amerikanischen Schriftstellers Lyman Frank Baum, hinterfragt Bjørn Melhus, wie die eigene Identität in den Wirklichkeitsbildern der Medien verwoben ist und untersucht dabei die Ursprünge des Individuums.

1939 von Metro-Goldwyn-Meyer in Farbe verfilmt, ist das Musical bis heute bekannt. Als Dorothy verkleidet mit der originalen Synchronstimme des Films vollzieht Melhus das Erwachsenwerden umgeben von elektronischen Kommunikationsmedien, die er wie sie zu nutzen sucht, um der realen Welt zu entkommen.

No Sunshine

16mm-Film digitalisiert, 05:10 Min, 1997

In einem Raum, der an das Innere einer Blutbahn und einen menschlichen Körper erinnert, vollzieht sich die Interaktion zwischen mehreren geschlechtslosen Figuren, die an Kinderspielzeug erinnern. Mit kindlichen Stimmen sprechen und singen jeweils zwei Doppelgänger. Sie sind handlungsunfähig in einem Vakuum gefangen, Melhus veranschaulicht mit dem Video das Absurde einer Kindheit, die von den Klischees in den Medien geprägt wird. Eine persönliche Identität und eine natürliche Sexualität haben hier keinen Platz.

Bjørn Melhus (*1966) zeigt in seinen Kurzfilmen, Videos und Videoinstallationen das Ausmaß der Veränderungen der Menschen im Fernseh- und Medienzeitalter. Er wird selbst zum Akteur und Medium. Seit 2003 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel.

6. Mariana Vassileva

Never Carry two watermelons under one arm

Video, 04:35 Min, 2011

Mariana Vassileva setzt Sprichworte in kurze Filmsequenzen um. Hauptakteur ist eine Wassermelone. Die Bedeutung der Worte wird humorvoll, bisweilen auch skurril in bewegte Bilder übersetzt.

Never Carry two watermelons under one arm, Mariana Vassileva, 2011

Tango

Video loop, Farbe, 00:45 Min, 2007

Tango behandelt die Einsamkeit, in die ein Mensch nach Vassilevas Auffassung hineingeboren wird. Die Überwindung dieser drückt sich in dem Verlangen nach Bewegung und Berührung aus, welche Vassileva in dem Video verdeutlicht, indem sie sich über eine grüne Wiese rollt.

Reflections

Video, Farbe, 05:14 Min, 2006

Bei Reflections reflektieren, mehrere Personen von einer Wiese mit Spiegeln Licht in Richtung der Kamera. Es entsteht eine Art rhythmisches Lichtschauspiel. Die Lichtspiele paaren sich dabei mit den Geräuschen der Straße sowie einem eingespielten Sound.

Mariana Vassileva (*1964) in Bulgarien geboren, kam 1994 zum Kunststudium nach Berlin und lebt dort noch heute. Neben Videokunst arbeitet die Konzeptkünstlerin auch mit Skulptur, Fotografie, Zeichnung und schafft Installationen.

7. Murray Gaylard

Romano

DVD, 05:13, 2009

Ein junger Mann tritt vor eine Kamera und beginnt zu einem Lied synchron die Lippen zu bewegen. Tanzend im Rhythmus der Musik bewegt er sich, als ob er das Lied selbst singt. Zum Refrain zeigt er zwei Handpuppen, mit denen er ein Gesangstrio bildet. Murray Gaylard nimmt 2009 ein Verfahren vorweg, das sich ab 2016 massenhaft verbreiten wird: Die App TikTok, bei der Jugendliche spielerisch Pop-Songs auf dem Smartphone interpretieren und sie an Freunde versenden. Der Produktionsaufwand für Gaylard war jedoch damals ungleich größer. Er befestigte die Kamera auf einem Stativ und richtete sie zunächst vor der Leinwand aus, bevor er davor treten konnte.

TikTok, in China auch bekannt als Douyin, ist ein chinesisches Videoportal für die Lippensynchronisation von Musikvideos und anderen kurzen Videoclips. Die App bietet zusätzlich Funktionen eines sozialen Netzwerks an, was zur enormen Popularität des Portals beitrug. Gaylard hat das Lied „Making Love“ der Band Air Supply als Liebesbeweis für seinen verflossenen Freund synchronisiert. Mit der schwarzgelockten Perücke ist er als Russell Hitchcock verkleidet, eines der beiden Mitglieder der australischen Band. Die Handpuppen stellen stereotyp den Backgroundchor dar.

Murray Gaylard (*1974) wuchs in Südafrika als – wie er sagt – „queerer, femininer, weißer Junge“ auf. Als solcher hat er Diskriminierung erlebt und kennt die Zuschreibung von Stereotypen. In seiner Kunst arbeitet er mitunter auch mit klischeehaften Darstellungen und bricht diese auf einem schmalen Grat zwischen Spiel und Ernst. Gaylard lebt und arbeitet in Berlin.

RAUM 3: ÄPFEL DER VERFÜHRUNG

Äpfel der Verführung, Nam June Paik

Skulptur, 1984

In einem Baum hängen statt Äpfeln Miniaturmonitore. Auf den kleinen Bildschirmen leuchtet und flimmert es bunt. Wir sehen Ausschnitte aus dem Video Global Groove von 1973, erkennen die Cello-Spielerin Charlotte Moorman und andere Künstlerfreunde mit denen Paik zusammenarbeitete.

Am Anfang von Global Groove steht Paiks visionäres Statement: Hier bekommen Sie einen Einblick in eine neue Welt, in der Sie jeden Fernsehsender der Welt einschalten können und die Fernsehzeitschrift so dick wie das Telefonbuch von Manhattan sein wird. Global Groove wurde mit dem Video-Synthesizer gestaltet, einer Erfindung Paiks und dem Fernsehtechniker Shuya Abe von 1969 – 1971.

Damit gelingen ihm analoge Manipulationen der Aufnahmen mit malerischer Wirkung. Nam June Paik kombiniert wie häufig in seinen Installationen Technologie mit Natur. Der Titel verrät einen biblischen Bezug, der die Installation und damit das Fernsehen mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies in Verbindung bringt. Verliert der Mensch durch das Medium seine Unschuld und gelangt zu teuflischer Erkenntnis?

Defiant, Nezaket Ekici

Single Channel Video, 07:11 Min, 2008

In Defiant, übersetzt “widerspenstig”, beschäftigt sich Nezaket Ekici mit dem Spannungsfeld zwischen erotischer Anziehungskraft und Abwehr. In einem mit Zahnstochern besetzten eng anliegenden Kleid vollzieht sie Schlangenbewegungen. Die Nahaufnahmen lassen nicht sofort erkennen, um welche Körperpartien es sich handelt, einige Positionen Ekicis erinnern an einen Igel in seiner Abwehrhaltung.

Der Zahnstocherbesatz auf ihrem Kleid erzeugt ein klapperndes Geräusch, das die Wirkung des Bildes noch steigert. Das Wechselspiel zwischen Anziehung und Ablehnung - und mit ihm verbunden, Schmerz - welchem Frauen ausgesetzt sind, wird verdeutlicht.

Emotions in Motion, Nezaket Ekici

Video, 04:16 Min, 2002

Innerhalb einer Ausstellung in München im Jahr 2000 küsste Ekici bei einer dreitägigen Performance einen ganzen Raum samt Einrichtungsgegenstände mit ihrem lippenstiftroten Mund. Am Ende bleibt ein Raum zurück, der mit den Spuren des roten Kussmundes Ekicis übersät ist. Der Kuss als Ausdruck inniger Zuneigung wird inflationär auf Gegenständen sichtbar.

Nezaket Ekici (*1970) thematisiert in ihren Performances die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Mit Filmen schafft sie dauerhafte Werke ihrer Auftritte. Sie war Meisterschülerin von Marina Abramovicć und schloss bei ihr das Studium der Bildhauerei und Performancekunst 2004 ab.

Le Vele di Scampia, Tobias Zielony

Fotoanimation, Farbe, 09:13 Min, 2009

Tobias Zielony beschäftigt sich in dieser Arbeit mit einem nie fertig gestellten Gebäudekomplex in Neapel. Einst wurde er mit vielen Funktionen für ein ideales Zusammenleben geplant. Heute gilt er als Problemviertel und Drogenumschlagplatz. Zielony hat 7.000 einzelne Nachtfotografien zu einem neun Minuten langen Film animiert. Der Film zeichnet sich durch ruckartige Schnittbewegungen aus und schafft somit eine Distanz von der Echtzeit.

Tobias Zielony (*1973) arbeitet als Fotograf und Filmemacher in Berlin. 2015 stellte Zielony eine Arbeit, für die er mit Geflüchteten zusammenarbeitete, im Deutschen Pavillon der Biennale di Venezia aus.

o. T., Friedrich Kunath

DVD, Ton, Farbe, 14:22 Min, 2009

Ein Schneemann - oder eine Person in einem Schneemannskostüm – kämpft sich mit einem Koffer durch die Wüste. Der Schneemann müht sich ab, wirkt verloren und orientierungslos. Das geht direkt ins Herz. Was könnte es Schlimmeres für einen Schneemann geben, als der gleißenden Sonne ausgesetzt zu sein? Die Figur wirkt dazu verdammt, auf ein rettendes Flugzeug zu warten, das sie aus der steinigen Felswüste bringen könnte. Stattdessen verläuft sie sich immer mehr.

Komik und Tragik dieser Situation fallen ineinander – eine Symmetrie, die diese Figur des Winterspaßes einem grausamen Schicksal zum Opfer fallen lässt. Kunath interessiert sich häufig für den Moment des Abschieds, er ist für ihn ein Ausgangspunkt.

Friedrich Kunath (*1974) lebt und arbeitet seit 2007 bei Los Angeles. Sein Werk umfasst neben Video auch Skulpturen und Malerei. Darin hat er seine ganz eigene Ikonografie erschaffen, die zwischen Romantik und Realismus verankert ist.

RAUM 4: ENTREE

How to kill the artist ep. 4, Laurina Parerina

Video, DVD, 05:16, 2008

How to kill the artist ep. 4, Laurina Parerina, 2008

In acht Animationen werden acht namhafte Künstler in kurzen Episoden wie Zeichentrickinventar behandelt: sie sprechen in kurzen, abgehackten Sätzen und können bisweilen auch fliegen. Mit Bezug auf das Werk des jeweiligen Künstlers erfindet Paperina eine absurde, meist bitterböse Geschichte, die immer tödlich endet.

Laurina Paperina (*1980) beschreibt sich als „Ente mit menschlichem Kopf und umgekehrt, die keine ernste Kunst machen mag“. Mit morbidem Humor sind ihre Animationen oft Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen oder wie hier zum Kunstbetrieb.

Westberlin, Die Tödliche Doris

Digitalisierter Super-8-Film, 06:26 Min, 1983

18 Filme über Städte, in denen Die Tödliche Doris auftraten, sind in der Zeit von 1980 bis zur Auflösung der Gruppe 1987 entstanden. Die Super-8-Aufnahmen von Berliner Sehenswürdigkeiten werden begleitet vom Text, den ein Sprecher zum Teil mit Gelächter vorliest. Der Text, der aus einem Reiseführer und die Bilder passen nicht immer zusammen.

Ein rhythmisches Klack-Klack, ähnlich den Geräuschen, die Schuhe mit Absätzen beim Durchlaufen eines hohl klingenden Flures entwickeln, begleitet die Narration, mal ist der Schritt tragend langsam, mal rasch forteilend. Die tödliche Doris zeigte die Städte-Filme vor Konzertauftritten.

Die Tödliche Doris war eine Berliner Künstlergruppe um Wolfang Müller und Nikolaus Utermöhlen. Sie wurde 1980 gegründet. Bei ihrer Auflösung Ende 1987 war die Gruppe international bekannt. Ausgehend von der Musik entstand ein vielfältiges Werk. Nach und nach besetzte die Gruppe alle Sparten der Kunst von Film, Literatur und Fotografie über Performance und Video bis hin zu Malerei und Plastik.

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